Wegweisend: Bundesgericht entscheidet zu Gunsten von Julia

 

Zuversicht für alle Menschen, die nicht mit ihrer Lautsprache kommunizieren können

 

Das Bundesgericht hat unsere Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug und die Verfügung der IV-Stelle gutgeheissen. Somit ist seit Anfang März klar: Julia hat Anspruch auf den Prox-Talker als Hilfsmittel für die Kommunikation. Aus Sicht des Bundesgerichts ist der Prox-Talker, gemessen an der zu erfüllenden Aufgabe besserer kommunikativer Möglichkeiten, durchaus zweckmässig und angemessen. Wir freuen uns sehr über diesen Entscheid. Er bringt Julia und vielen Menschen mit einer Beeinträchtigung bei der Kommunikation mehr Selbstbestimmung. Die gesamten Verfahrenskosten müssen von der IV (Invalidenversicherung) getragen werden.

Zur Vorgeschichte: Anfang April 2011 stellten wir bei der IV Antrag auf Kostenübernahme eines Kommunikationsgerätes (Prox-Talker) für unsere Tochter Julia. Im Oktober 2011, also rund sieben Monate später, wies die IV-Stelle des Kantons Zug diesen Antrag völlig unerwartet ab. Der Entscheid stiess bei uns, aber auch bei den zuständigen Fach- und Lehrpersonen der Heilpädagogischen Schule Zug auf grosses Unverständnis. Wir entschieden uns deshalb, den Entscheid anzufechten und reichten dagegen Revision ein.

 

Mitte März 2012 lehnte die IV die Kostengutsprache definitiv ab, trotz der positiven Gutachten aller beigezogenen Fachpersonen. Dazu gehörten Therapeuten, ein Kinderarzt, ein Neurologe und eine von der IV eigens dazu gezogene unabhängige Beraterin. Die Begründung lautete, dass aufgrund von Julias jungem Alter nicht erwiesen sei, dass sie sprech- UND schreibbehindert sei. Kommunikationsgeräte würden aber nur an eben diese Menschen abgegeben werden. Wir waren sehr enttäuscht, der Entscheid war für uns völlig unverständlich.

 

Damit Julia bei der Kommunikation weitere Fortschritte machen bzw. damit sie sich überhaupt adäquat ausdrucken konnte, entschieden wir uns, den gut 3000-fränkigen Prox-Talker selbst vorzufinanzieren. Diese wichtige Chance, auch im Hinblick auf ihre Zukunft, wollten und durften wir Julia nicht verbauen.

«Auch wer nicht sprechen kann, hat viel zu sagen.»

 

Wir hatten aber weiterhin das Gefühl, im Recht zu sein. Mit Hilfe einer Rechtsanwältin von Integration Handicap zogen wir Julias Fall deshalb an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug weiter. Wir wollten etwas tun – für Julia und all die anderen Menschen mit einer Behinderung, die so viel zu sagen haben, aber nicht sprechen können.

 

Im August 2012 erhielten wir dann das Urteil des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zug: Die Beschwerde gegen den Entscheid der IV wurde auch von der nächsten Instanz abgewiesen. Die Begründung lautete, dass Julia auch ohne Kommunikationsgerät zu einer der bundesgerichtlichen Umschreibung genügender Kommunikation in der Lage sei.

 

Das löste bei uns und Julias Umfeld weiterhin grosses Unverständnis aus. Wie konnte eine Gerichtsinstanz ihren Entscheid so begründen, obschon alle Gutachten das Gegenteil belegten? Wer Julia kennt, weiss, dass sie keine einzige Gebärde versteht oder nachmacht und für die Kommunikation auch keine unterschiedlichen Laute von sich geben kann.

 

Wir waren der Meinung, dass doch auch ein Kind mit einer Behinderung kommunizieren darf und seine Bedürfnisse ausdrücken will. Trotzdem standen wir nun kurz davor aufzugeben, den Entscheid zu akzeptieren und die Kosten selbst zu tragen.

Weiter geht’s: Das Bundesgericht kommt zum Zug

 

Die Anwältin, welche uns Integration Handicap zur Seite stellte, prüfte und beurteilte die Begründung des Verwaltungsgerichts noch einmal genau. Und sie kam zum Schluss, dass wir es weiter versuchen sollten. Das bedeutete, dass wir Julias Fall ans Bundesgericht weiterziehen mussten. Wir würden also weiterhin hartnäckig bleiben müssen.

 

Zeitgleich mit dem Entscheid, das Urteil des Zuger Verwaltungsgerichts ans Bundesgericht weiterzuziehen, erfuhren wir, dass die IV in einem vergleichbaren Fall wieder gegen die Betroffenen entschieden hatte und den Entscheid gleich begründete. Es kam also ein weiterer Grund dazu, nicht aufzugeben. Wir wollten nicht, dass ein negatives Urteil wegweisend wird für Menschen wie Julia. Wir wollten uns einsetzen für Julia und für alle anderen Kinder mit einer Behinderung – Kinder, die ein grosses Kommunikationsbedürfnis haben, aber leider nicht die Fähigkeit, sich über die Lautsprache mitzuteilen.

 

Daraufhin reichten wir also Beschwerde beim Bundesgericht ein. Das kostete zwar Zeit, Nerven und Kraft. Trotzdem hofften wir darauf, dass der Marathon durch alle Instanzen und Paragraphen nach fast zwei Jahren ein gutes Ende nehmen würde.

Am Ziel und doch nicht: Bundesgericht heisst unsere Beschwerde gut

 

Seit Anfang März 2013 ist nun klar: Julia hat Anspruch auf den Prox-Talker als Hilfsmittel für die Kommunikation. Das Bundesgericht hat unsere Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug und die Verfügung der IV-Stelle gutgeheissen. Aus Sicht des Bundesgerichts ist der Prox-Talker, gemessen an der zu erfüllenden Aufgabe besserer kommunikativer Möglichkeiten, durchaus zweckmässig und angemessen.

 

Wir freuen uns sehr über diesen Entscheid, auf den wir schliesslich 23 Monate oder fast zwei Jahre lang warten mussten. Er bedeutet, dass Julia und viele Menschen mit einer Beeinträchtigung mehr Selbstbestimmung bei der Kommunikation erhalten.

Bitterer Nachgeschmack bleibt

 

Fragen bleiben trotzdem offen. Einerseits möchten wir wissen, weshalb Familien mit einem behinderten Kind derartige Hürden in den Weg gestellt werden. Selbstverständlich sind wir damit einverstanden, dass es Kontrollen und Überprüfungen braucht. Sie dürfen aber nicht Schikane oder Willkür bedeuten. Es bleibt also ein bitterer Nachgeschmack, denn Hilfsmittel für Menschen mit einer Behinderung sind keine Luxusartikel. Ganz im Gegenteil: Sie bilden die Basis der Selbstbestimmung eines behinderten Menschen.

 

Warum wird aber in bestimmten Fällen, trotz aller positiven Gutachten von mehreren Fachpersonen, ein abschlägiger Entscheid gefällt, um sie dann mit Argumenten zu unterlegen, die gar nicht den Tatsachen entsprechen können? Die ablehnende Haltung seitens der IV-Stelle und des Zuger Verwaltungsgerichts ist für uns unverständlich und macht ob der Argumentation betroffen.

 

Unverhältnismässig hohe Kosten für den Weg durch den Dschungel der Paragraphen

 

Das monatelange Verfahren verursachte sehr hohe Kosten. Sie stehen in keinem Verhältnis zum Betrag des beantragten Kommunikationsgeräts. Statt fair und aus Sicht eines Menschen mit einer Behinderung zu entscheiden, haben IV und Verwaltungsgericht versucht, den Fall zu verzögern und uns den Mut zu rauben. Der Weg durch den Instanzen-Dschungel kann sehr zermürbend sein.

 

Trotzdem: Den Weg, den wir gegangen sind, soll Betroffene ermuntern, durch diesen Dschungel zu gehen und ihren Anspruch anzumelden. Anderen Betroffenen – mit ähnlichen Anliegen – soll er den Weg ebnen, damit sie schneller an ihr Ziel kommen.

Fortschritte mit dem Prox-Talker

 

Seit mehr als einem Jahr arbeitet Julia nun mit dem Prox-Talker, nachdem wir damals entschieden hatten, das Hilfsmittel zuerst selbst zu finanzieren. Wir freuen uns über jeden ihrer Fortschritte. Hätten wir das Gerät damals nicht selbst finanziert, hätte Julia viel Zeit verloren. Das wäre mit nichts aufzuwiegen gewesen. Dass nun auch noch Recht gesprochen wurde, erfüllt uns mit viel Genugtuung.

 

In diesem Sinne:

 

"Es gibt Dinge im Leben, die kann man sich nicht aussuchen.

Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht bestimmen.

Es gibt Dinge im Leben, die kommen unerwartet und hart.

Es gibt Dinge im Leben, die muss man so nehmen wie sie sind.

Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht ändern.

Aber es gibt Dinge im Leben bei denen man die Hoffnung nicht aufgibt und es sich lohnt dafür zu kämpfen!"


Julia hat das Angelman-Syndrom. Das Angelman-Syndrom ist die Folge einer angeborenen seltenen genetischen Veränderung im Bereich des Chromosom 15. Im Schnitt tritt es bei einem von 25'000 Neugeborenen auf. Charakteristisch für das Angelman-Syndrom ist eine starke Verzögerung der körperlichen und geistigen Entwicklung und das Ausbleiben der Sprache. Weitere Infos zu Julia und dem Angelman-Syndrom unter www.juliadellarossa.ch